Als ich 2016 das erste Mal in einer ehemaligen Deutschen Kolonie – in Namibia – war, war ich beeindruckt, vielleicht auch ein bisschen amüsiert, wie viel gerade aus der Deutschen Kolonialzeit erhalten geblieben ist. In Städten wie Swakopmund fühlt man sich ein bisschen wie irgendwo an der Nordsee, wenn da nicht der Kellner anderer Hautfarbe wäre, der einem die Schwarzwälder Kirschtorte (Spezialität im Café Anton) oder das Jägerschnitzel an den Tisch bringt.
Auf der anderen Seite ist man aber auch entsetzt, wenn man sich mit dem Ticketverkäufer im dortigen Heimatmuseum – einem Nachfahren der Kolonialisten – unterhält, der unverblümt zwischen Reichsflaggen sitzt und einem erzählt, dass er in Deutschland nicht leben kann, weil man da am Airport landet und nicht am Flughafen und weil da die „Neger die Drogen an die Jugend verkaufen“. Es wird einem bewusst, dass hier noch ein völlig anderes Weltbild prägt – und Teile davon haben sich auch in Deutschland bis heute erhalten.
Bartholomäus Grill lebt seit 30 Jahren in Afrika und beschäftigt sich in seinem Buch genau mit dem Thema – wie die Ideologie der Kolonialisten unser eigenes Weltbild bis heute prägt.
Wir Herrenmenschen
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Daten
Autor: Bartholomäus Grill
Verlag: Siedler
ISBN: 3827501105
Preis: 24€
Gebundene Ausgabe, 304 Seiten
Inhalt
Bartholomäus Grill arbeitet als Spiegel-Reporter und gilt nach 30 Jahren als einer der besten Kenner des Kontinents. Sein Großvater war ein echter Kolonialromantiker und so entstand eine gewisse Faszination für Afrika – als Kind wälzte er die alten Bücher auf dem Speicher und war fasziniert von der Ideologie, die dahinter steckt – von den strengen Kolonialherren und den Sklaven, die für sie arbeiteten.
Und so begibt sich Grill auf die Spuren der ehemaligen Kolonien – Deutsch-Südwest oder Deutsch-Ostafrika, Kamerun oder die vielen kleineren Besitzungen in der Südsee – überall wurde mit List und Brutalität die scheinbar minderwertige Rasse unterdrückt und von ihrem Land verjagt – eine Fremdherrschaft, die zwar nicht ewig andauerte, die aber geprägt war von Völkermorden und brutaler Unterjochung.
Grill geht in seinem Buch aber über die bloße Geschichtsbeschreibung hinaus und fragt, wie dieses Weltbild, das unsere Urgroßväter hatten, als Grundlage für eine Ideologie genutzt wird, in dem wir von Flüchtlingsinvasion reden und in der die Massen „Ersaufen, Ersaufen“ skandieren, wenn sie Bilder von verängstigten Afrikanern auf in Seenot geratenen, überfüllten Schiffen sehen. Die Kolonialzeit wird vielfach romantisiert, in Hamburg etwa wollte man einen Tansania-Themenpark errichten, ab und zu sieht man noch alte Statuen der berühmtesten Kolonialbeamten in Deutschland – doch Fragen nach Völkermorden – etwa an den Herero – werden kaum gestellt.
Grill stellt aber auch die Frage, welche Spuren die nur wenigen Kolonialen Jahre in den Köpfen der heutigen Bewohner des Landes hinterlassen haben. So stellt er etwa den Zusammenhang zwischen dem Massaker der Hutu an den Tutsi in Ruanda 1994 – die Hierachie zwischen den Stämmen haben die Kolonialisten eingeführt.
Fazit
Zugegeben – ich war ein bisschen amüsiert, als ich in Swakopmund durch die Stadt lief und an vielen Häusern die Reichsfahne wehte. In Deutschland hätte das wohl einen noch viel stärker negativen Beigeschmack. Und ich habe dort genüßlich die Schwarzwälder im Café Anton an der Promenade gegessen und ein bisschen dem Kolonialflair nachgespürt. Hier ist das natürlich wesentlich massiver in den Köpfen als bei uns.
Dass diese Kolonialromantik und die Ideologie der Herrenmenschen, die die schwarze Bevölkerung unterdrücken können, wenn sie es wollen, weil sie als Rasse minderwertig sind, war in meinem Kopf schon lange Geschichte. Das gab es mal, das muss man nicht wieder haben.
Die Verbindung, dass damals in den Köpfen ein Bild entstand vom minderwertigen „Neger“, das bis heute überlebt hat und das heute die Flüchtlingsdiskussion prägt, wäre ich persönlich nicht gekommen – doch Grill argumentiert wahnsinnig schlüssig. Er erzählt nicht nur die Geschichte der Kolonialherren und spürt ihnen nach und erzählt die Geschichte feinfühlig und ungeschönt. Er erzählt auch, wie diese Prägung auch 3 Generationen später noch in den Köpfen hängt, auch wenn man nie in den „Kolonien“ war. Für mich ist das beeindruckend und erschreckend.